Seit ein paar Tagen befindet sich Bolivien im Ausnahmezustand, denn am heutigen Sonntag gibt es einen Volksentscheid darüber ob die Verfassung dahingehend geändert wird, dem Präsidenten die Chance auf eine weitere Amtszeit einzuräumen. Evo Morales, der regierende Präsident, ist dabei äußerst umstritten, denn er hat die Verfassung schon einmal ändern lassen um sich im Amt zu halten. Man muss wissen, dass die Bolivianische Verfassung per Volksentscheid quasi komplett und jederzeit verändert werden kann, eine „Ewigkeitsklausel“, die einzelne Paragraphen schützt gibt es nicht.

Eines der Wahllokale in La Paz

Da die Beteiligung am Referendum für alle Bolivianer verpflichtend ist, gibt es jetzt kaum noch ein anderes Gesprächsthema. Im Minibus, in einer kleinen Tienda beim Einkaufen, in der Universität und in den Kneipen sowieso wird prognostiziert, spekuliert und werden Verschwörungstheorien debattiert, wie es wohl ausgehen wird. Die Prognosen lassen einen sehr engen Ausgang vermuten. „Evo-sí“ und „Evo-no“ Anhänger liegen beide bei ca 40% der Stimmen.

Sehr interessant macht es für mich, dass die wenigsten Bolivianer ein Geheimnis daraus machen, wem sie Ihre Stimme geben werden. Die meisten Studenten sind absolut gegen eine Verfassungsänderung und sind der Meinung, dass sie Ihre Demokratie verteidigen sollten. Dazu sei gesagt, dass viele Studenten der Universidad Católica aus eher reicheren Familien kommen, die von der sozialistischen Politik der Regierung natürlich nicht so sehr profitieren wie Ärmere. Aber ich habe nicht den Eindruck, dass es hier um persönliche Vorteile geht. Vielmehr brachte es einer der Politik Professoren auf den Punkt, als er nach einer spannenden Diskussion über Einflussfaktoren eines politischen Systems in meinem Kurs Sistema Político Boliviano, vielsagend in die Runde fragte: „Und, alle bereit für Sonntag?“ Es ist die Möglichkeit sich als Volk zu behaupten gegen einen Präsidenten, der sich, obwohl er der erste indigene Präsident Boliviens ist, immer weiter von den Leuten zu entfernen scheint.

Der Präsident selbst und die Opposition liefern sich eine regelrechte Schlammschlacht. Korruptionsvorwürfe hier, Veruntreuung da, kaum ein Tag vergeht ohne neue Skandalöse Schlagzeilen. Beispielsweise tauchen jetzt Fotos auf, die den Präsident mit seiner ehemaligen Geliebten zeigen, mit der er eigentlich keinen Kontakt mehr hatte. Darauf angesprochen reagiert er nur damit, dass ihm das Gesicht der jungen Frau irgendwie bekannt vorkam…
Letztlich könnte das alles egal sein und Evo’s Privatsache bleiben, wäre die Dame nicht Geschäftsführerin eines chinesischen Konzerns, der in den letzten Jahren staatliche Aufträge in Millionenhöhe kassiert hat. Die Regierende Partei MAS wittert dagegen schon wieder eine Verschwörung, und wer ist schuld daran? Die USA! Wer auch sonst.

Ein anderes Kuriosum, das sich beobachten lässt sind die Demonstrationen. Es gibt von beiden Lagern immer wieder Straßen Blockaden und Protestmärsche, aber von feindlicher Stimmung gegenüber der anderen Seite ist nichts zu merken. Viel eher wird auch manchmal gemeinsam demonstriert, für unterschiedliche Ziele versteht sich.
Leider gab es am Donnerstag in El Alto, direkt neben La Paz, einen Zwischenfall, bei dem 6 Menschen starben. Ein paar Demonstranten hatten das Rathaus (unter Leitung der Oppositionspartei) besetzt und bevor die Polizei Stunden später eintraf, das Gebäude in Brand gesteckt. Dadurch erscheint eine Äusserung von Evo Morales, dass die Opposition nicht mit Unterstützung der staatlichen Institutionen rechnen kann, in einem ganz anderen Licht.

Am heutigen Sonntag ist die sonst so wuselige, herzlich chaotische, hupende, laute Stadt kaum wiederzuerkennen. Wegen des Referendums ist jeglicher Autoverkehr (bis auf wenige Ausnahmen) verboten, die Straßen sind komplett ausgestorben.

High Noon in Obrajes

Schon seit Donnerstag darf (offiziell) kein Alkohol mehr verkauft werden, alles wegen Sicherheitsbedenken und zum Schutz vor Wahlfälschungen. Nicht das Jemand doppelt abstimmt…
Der Wahlsonntag wird also in eine kleine Strassenparty umgewandelt, an allen Ecken gibt es kleine Grillstände und Musik.
In den Wahllokalen selbst ist die Stimmung sehr entspannt. Einer nach dem Anderen sucht seinen Namen in einer nicht enden wollenden Liste, und begibt sich dann in das zugeteilte Klassenzimmer um seine/ihre Stimme abzugeben.

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Letzte Erklärung vor der Stimmabgabe

Wir sind alle sehr gespannt auf die ersten Hochrechnungen heute Abend im TV, aber es ist laut Zeitungsverkäufern, Kellnern und Polizisten unmöglich abzusehen wie das Resultat wohl sein wird.

One thought on “Ein historischer Tag für Bolivien”

  1. Inzwischen sind 99,7 % aller Stimmern ausgezählt, und das Resultat steht fest: Evo Morales wird 2019 nicht noch einmal kandidieren dürfen, die No- Stimmen behielten mit 51,3 % die Oberhand. Die Si-Stimmen kamen nur auf 48,7% und mussten sich denkbar knapp geschlagen geben.
    Natürlich gibt es jetzt alle möglichen Korruptionsvorwürfe, aber bisher ist noch nichts handfestes aufgetaucht.

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