Vorbemerkung: Der nachfolgende Artikel soll keineswegs für bare Münze genommen und nicht als politische Abhandlung angesehen werden. Er versucht viel eher eine Annäherung mit Augenzwinkern an eine Form der Politik, die in einer ganz anderen Kultur verankert ist.
Hoch lebe, ja wer eigentlich?
Als ich nach langem WG-Leben in Nepal in einer Gastfamilie unterkam, dachte ich mir schon, dass so einiges anders werden würde. Doch was mich hier erwartete, das hätte ich mir nicht vorzustellen vermocht.
Nehmen wir mal an, dass dieser Artikel nie auf Englisch übersetzt wird. Und nehmen wir an, dass ganz fiktiv mein Gastvater ein Rechtsanwalt ist, der immer schon gerne mit der Macht ging. Der König führt, hoch lebe der König! Die Maoisten sind zurück, hoch leben die Maoisten. Nepalesische Flexibilität, unbedingt notwendig bei 60 Regierungen in 51 Jahren. Nehmen wir also an, dass dieser free-lance Rechtsanwalt sich seit einem knappen Jahr für Politik interessiert und seither liebend gerne mitmischt, wo immer es möglich ist.
In dieser fiktiven Geschichte fehlt nur noch eine starke Frau, die im Hintergrund einen angehenden Politiker mit allen Kräften unterstützt. Nennen wir diese Frau vielleicht Chanchal wie der Mond, der unerbittlich leuchtend Kraft schenkt. Doch interessiert sich diese solide Basis für das Schaffen ihres Mannes oder ist sie ganz im Gegenteil immun für die politischen Machtbestrebungen? Um die ganze Sache spannend zu machen, geben wir der Mondgöttin ein politisches Desinteresse, das sich nur noch durch die Meinung komplettieren lässt, Politik sei das letzte, was ein Land wie Nepal derzeit brauchen würde. Clever kombinierend hat sie längst erkannt, dass die Politiker nur aus Selbstzweck ihre ach so wichtigen Machtpositionen innehaben, letztlich jedoch vor allem in die eigene Tasche wirtschaften.
Einer solchen Kombination fehlt nun nur noch der Kontext, den wir einfach mal in dem kleinen Streifen Land zwischen China und Indien ansiedeln und Nepal nennen. Ganz stolz darauf, nie wirklich kolonialisiert worden zu sein, bewarben sich Nepalis gerne ihre Tradition, die Jahrtausende zurückreicht und bloß nicht verändert werden soll. Denn, wo kämen wir denn da hin? So beginnt ein Tag im Leben eines solch aufstrebenden Politikers oft darin, im Pyjama und Winterjacke in die Küche zu kommen, die verschränkten Arme kurz zu lösen und mit einem Zeigefinger ein „Mach Tee!“ anzuordnen. Unwissenden Umstehenden erklärt er gerne, dass er theoretisch natürlich selbst Tee machen könne, dann jedoch die Sonne im Westen aufgehe. Da sich die Szene oft wiederholt, fällt auf, dass die Sonne manchmal im Westen, meist jedoch im Norden aufgeht, sodass die nepalesische Bauernregel leicht in Frage gestellt werden muss. Verwandte berichten zudem, dass unser Politiker zwar kochen könne, jedoch nur ein Gericht Zustande bringe, das jedoch aus reinen Bratkartoffeln mit zu viel Öl bestehe. Fraglich also, wie selbstständig er trotz aller politischen Macht letztlich im eigenen Hause ist.
Entgegen der landesüblichen Tradition und ganz zum Verdruss seiner Ehefrau hat er den Göttern abgeschworen und verzichtet mittlerweile gänzlich auf das tägliche Gebet. Gute Ehefrau wie Chanchal es ist, bedeutet das doppeltes Gebet, das sie jedoch heimlich ausführt, um ihren Ehemann nicht zu erzürnen. Doch wofür sie genau betet wird wohl ewig unerkannt bleiben. Betet sie für dafür, er möge das Land retten? Oder eher dafür, dass er endlich lernt, sich vernünftigen Chai mit weniger als drei Löffeln Zucker pro Tasse selbst zu kochen?
Wie ist so ein politischer Leader, wie er sich selbst nennt, im häuslichen Alltag? Diskussionsbereit oder eher felsenfest von seiner eigenen Meinung überzeugt? Professionell oder entspannt? Unser Held hat sich dazu klar bekannt: „Zuhause bin ich ganz normal, aber da draußen, da bin ich 100% Professionell.“ Fehlt nur noch, ihn einen Tag lang zu begleiten, um herauszufinden, wie recht er hat.
So kommt es, dass ein ehemaliger Minister im Wohnzimmer auf dem Sofa sitzt, wenn ich aus dem Büro komme, ich jedoch fliehe, weil ich sonst keinem Kollegen mehr in die Augen gucken könnte. „Dev Gurung? In deinem Wohnzimmer? Ich hoffe, du hast ihm keinen Tee angeboten und ihn anschließend aus dem Haus gejagt. Verfluchte Maoisten!“ Ja, die Meinung meines Kollegen war eindeutig.
Doch wer weiß, vielleicht werden wir uns in vielen Jahren daran erinnern und sagen, „wie gut, dass damals in Nepal der Maoismus überlebt hat. Wo stünden wir denn sonst heute?“ Fraglich ist jedoch, ob Nepal jemals diesen Moment erleben wird oder ob nicht längst davor Streiks so lange das Land lahmlegen, bis alle Nepalis emigrieren, um endlich mal wieder voran zu kommen. Und wer weiß, vielleicht gibt es dann wieder einen König und unser Held ruft „Der König ist zurück, hoch lebe der König!“