Bolivien ist aus politischer Sicht sicher ein sehr spezielles Land. Nach jahrzehntelangen Unruhen mit diversen Staatsstreichen, Militärdiktaturen, Revolutionen und Gegenrevolutionen ist inzwischen nun sowas wie Kontinuität eingekehrt. Allerdings verstrickt sich das MAS (Sozialistische Regierungspartei) in einen Skandal nach dem Nächsten. Diese Woche wurde ein Anwalt festgenommen, der Evo Morales ehemalige Geliebte Gabriela Zapata vertreten hat, mit dem Argument, dass Anwälte schließlich dafür da seien Kriminelle zu verurteilen. Fast schon nebensächlich erscheint da, dass der Plaza Murillo, der zentrale Platz mit Regierungsgebäuden, seit mehreren Wochen hermetisch abgeriegelt wird, weil nahe des Zentrums schon genauso lange Behinderte für mehr Sozialleistungen und mehr Rechte demonstrieren und sich inzwischen schon unter menschenunwürdigsten Bedingungen ein Protestcamp aufgebaut haben. Passiert ist aber von Regierungsseite nichts. Nun weiss ich selbst nicht, inwiefern die Proteste berechtigt sind, und maß mir schon gar kein Urteil darüber an, aber die Tatenlosigkeit der Verantwortlichen ist schon sagenhaft.
Diese Vergewaltigung demokratischer Grundsätze war dann aber nur kurz wichtig, weil schon am Samstag das Gran Poder Fest in den Straßen La Paz stattfand. Ursprünglich hat dieses Fest einen religiösen Hintergrund und wird zu Ehren des Jesus del Gran Poder veranstaltet, man kann sich das in der Praxis aber ein bisschen wie einen Faschingsumzug vorstellen. Natürlich ohne politische Botschaften, aber mit folklorischen Tänzen, fabelhaften Kostümen, tausenden euphorischen Zuschauer an allen Seiten des Umzugs, und ausgelassene Stimmung unter den Feierwütigen. Das Bier fließt in Strömen, die Luft ist vom scharfen Geruch der vielen Grillstände und Pommesbuden durchsetzt, Feuerwerksraketen zaubern erst bunte Bilder an den Himmel und dann Rauchschwaden durch in die Luft.
Für mich ist das immer ein bisschen doppelzüngig. Einerseits gönn ich natürlich jedem die Freude an der riesen Party und respektiere stark die wenigen, die darin noch einen religiösen Sinn sehen, aber der Kontrast zwischen Realität und Party ist schon krass.
Vielleicht bin ich auch zu kritisch. Denn so abstrus das Gran Poder wirkt, es strahlt auch eine besondere Magie aus, die auch nicht nach der hundertsten Tanzgruppe verfliegt. Ich merke dann auch persönlich wie ich in den Sog der Unbekümmertheit hineingezogen werde und mich im Trubel der Stadt treiben lasse. Sofort lernt man wieder jemand neues kennen, hat hier einen Schwatz und da einen Ratsch, alles eher unverbindlich aber immer herzlich.
Außerdem macht Bolivien Spaß. Ich werde so langsam ein bisschen wehmütig, wenn ich daran denke La Paz schon in dreieinhalb Wochen wieder zu verlassen. Ich wurde schon heimisch hier, und hätte es mir auch vorstellen können noch länger hier zu bleiben. Die Berge, das Wetter, der inzwischen sympathisch anmutende Charakter der Stadt La Paz, die Freunde aus der Uni, die Gelassenheit und Spontanität des Alltags, ich werds vermissen.
Noch ist aber nicht Schluss und einen optimalen Zeitpunkt für einen Abschied gibt es wohl nie, deswegen versuche ich die verbleibende Zeit noch so gut es geht, trotz nahender Klausuren Phase, zu genießen und natürlich freue ich mich auch sehr schon bald wieder heim zu kommen. Auch das wird ja nicht für lange Zeit sein.