Macrons Krisenmanagement in einer vielfältig bewegten Nation
Autorin: Sandrine Neugart, 15.Mai 2020
„Wir sind im Krieg“, lautete Macrons Kampfansage gegen das sich rasant ausbreitende Virus. Mit 27.625 Toten bei 153.6000 Infizierten (Stand 14.5.2020) weist Frankreich nach heutigem Stand den fünft stärksten Ausbruch weltweit auf. Nachdem ich das anfängliche Geschehen in den Monaten Januar bis März in Paris vor Ort peu à peu mitverfolgen konnte, möchte ich nun, im Rahmen dieses Blogeintrags, zum einen die Politik des Präsidenten Macrons und zum anderen die darauf aufbauende Krisenrezeption der Pariser bzw. Franzosen schildern. Die gesellschaftliche Wahrnehmung basiert auf persönlichen Beobachtungen und auf Gesprächen mit Franzosen, die Umfragen und Fakten dagegen stammen von französischen und deutschen Tageszeitungen.
Franzosen und ihre Freiheit
Hätte man mich Anfang 2020 nach meinen Eindrücken gefragt, hätte ich die Pariser Attitüde zu einfach allem als „ambivalent“ und ganz trivial „französisch eben“ charakterisiert. Während die Kontroverse um Macrons Sozialpolitik, verkörpert in medial polarisierenden Gelbwestenstreiks und einen Jeden-lähmenden Metrostreiks, den Pariser – ganz gleich ob politisch bewegt oder unbewegt – Anfang 2020 latent aufwühlen dürfte, gab es doch immer eine Ausflucht. Die Künstlerviertel, das Ufer der Seine oder des Kanals, der trockene Rotwein, begleitet von lebhaften Debatten im 11 Arrondissement – all diese Orte symbolisierten stets die Möglichkeit des Entkommens. Und eben diese Freiheit wurde den Franzosen am 18. März 2020 genommen.
„Die härtesten Maßnahmen, die es in Europa gibt“
Als Macron am Donnerstag, den 12. März im Rahmen einer Fernsehansprache u.A. eine nationale Schul- und Universitätsschließung verkünden ließ, ahnten nur Wenige, darunter auch ich, dass dies erst der Anfang war. Am nächsten Morgen waren die Metros, Straßen und Geschäfte frequentiert wie immer. Doch schon vier Tage später, als für Dienstag, den 17. März, der Beginn einer Ausgangssperre verhängt wurde, gehörte die Aufmerksamkeit von 35 Millionen Zuschauern Macron – nicht zwangsläufig aufgrund der Popularität des durchaus als arrogant wahrgenommen, wirtschaftsliberalen Politikers, sondern wohl eher aus sozialem Zwang, Ungewissheit, oder aber auch Angst. In fast jeder Bar, am Arbeitsplatz und sogar im ICE – ich hatte spontan die Rückkehr nach Deutschland angetreten – wurde gestreamt, wie der Präsident im, für mich sehr befremdlich, martialischen Ton „nous sommes en guerre“ dem Virus den Krieg ansagte. Neben eines von Polizisten, partiell auch des Militärs, kontrollierten Shutdowns, wurden auch jegliche Geschäfte und Restaurants geschlossen. Zu jenem Zeitpunkt genoss der Präsident bei Umfragen, wie jener von Harris Interactive, das Vertrauen von bis zu 76% der Franzosen. Ein Rekord, und das trotz pikanter Nebeninformation, dass die umstrittene Rentenreform wie angesetzt durchgeführt werden sollte.
Die sinkenden Zustimmungswerte des Emmanuel Macron
Mit steigenden Fallzahlen, und daraufhin noch schärfere Maßnahmen sank das Vertrauen in Macron allerdings wieder rapide: In der lang erwarteten Ansprache am 13. April, vier Wochen nach Beginn der Ausgangsperre, wirkte Macrons Ansprache, trotz weiterhin stark ausgeprägtem Pathos „mes chers compatriots“, demütiger. Die Nation müsse nun vier weitere Wochen bis zum 11. Mai durchhalten. Bis dahin würde die Bewegungsfreiheit auf eine Stunde und einen Kilometer Umkreis um den Wohnsitz dezimiert werden. Mit sich führen musste man nach wie vor ein offizielles Dokument mit dem Grund des Ausgehens. „Die härtesten Maßnahmen, die es in Europa gibt“, betitelte diese Innenminister Christophe Castaner. Und die Französische, sonst so rebellische Gesellschaft? – nahm die Entrechtung klaglos hin! Viel zu sehr hatte die Angst vor einer Ansteckung die Gesellschaft durchdrungen. Während in Deutschland Ende April nur etwa jeder Vierte diese Angst teilte, waren dies in Frankreich, mit mutmaßlich 2,8 Millionen bereits Infizierten, mehr als jeder Zweite. Diese Angst schlug um in Wut. Besonders im Hinblick auf die anstehenden Lockerungen Mitte Mai, zeigten sich Ende April zwei Drittel beunruhigt, so dem französischen Meinungsforscher Bernard Sananès zur Folge. „Zu naiv wären viele Städter“, urteilte ein französischer Freund von mir. Darüber hinaus entwickelte sich medial eine scharfe Polemik über den fehlenden Zugang zu Masken und Tests sowie über das teils kollabierte, jahrelang unterfinanzierte Gesundheitssystem. Ja, das frühe, überschwängliche Vertrauen gegenüber Macron, wurde laut Politbarometer Odoxa Ende April auf 42% herunterkorrigiert. Die Opposition wirf ihm „Katastrophales Krisenmanagement vor“. Es hätte mehr gemacht werden sollen. Dabei wurde in keinem anderen europäischen Land zu härteren Maßnahmen gegriffen, als in Frankreich. Auch in keinem europäischen Land verlor die politische Führung über die zwei Monate Confinement derart viel Vertrauen (je nach Umfragen bis zu 1/3) wie Macron. Üblicherweise, würden Vertrauenswerte im Verlauf der Krise eher ansteigen, Frankreich sei mit seinem politischen Pessimismus da allerdings eine nicht näher erklärbare Besonderheit, heißt es laut dem Meinungsforschungsinstitut IPOS.
Würde Macron am 11. März die Maßnahmen allerdings nicht lockern, zöge er den Unmut der Wirtschaft weiter auf sich. Dem wirtschaftsliberalen Präsidenten, dem schon da ein BIP Rückgang von 13 bis 25% fürs zweite Quartal ausgerechnet wurde, würde gerade das noch fehlen. Dabei hatte er französische Unternehmen bereits, ganz nach deutschem Vorbild, mit u.A. Soforthilfen in Form von Kurzarbeitergeld und Liquiditätshilfen mit ganzen Kräften gestützt. Auch außenwirtschaftlich, so Experten, würde ein weiteres Verharren im Lockdown und dem daraus resultierenden, letztlich doppelt so hohem Staatschuldenstand wie Deutschland, die Herausbildung einer „irreversibel Schere“ zwischen beiden benachbarten Volkswirtschaften unabdingbar machen.
So kam es am 11. Mai, vieler Erwartung und wenig Befürwortung nach, zu einer Lockerungder Ausgangsperre und vereinzelten Wiederbelebung des öffentlichen Lebens. Die am 28.4 vorausgegangene Rede des Premierminister Edouard Philipp, welcher mit seiner nüchternen auftretenden Art immerhin 46% der Franzosen hinter sich zu wissen hatte, warf mit der Ankündigung eines regional differenzierten Deconfinement dennoch erstmal weitere Fragen auf. Paris, das stand zumindest fest, würde aufgrund der hohen Fallzahlen vorerst im strikteren Confinement bleiben.
Heute, am 15. Mai kann Macron dem kumulierten Druck nicht standhalten, und räumt Fehler bei der Gesundheitsreform ein. Die gravierende Unterfinanzierung von Kliniken müsse ein Ende haben. Zur Veranschaulichung: Deutschland verfügte zu Krisenbeginn sechsmal mehr Intensivbetten, als Frankreich.
Trotz jeglicher Zugeständnisse ist der wiederaufgelebte, soziale Sturm nicht mehr zu stoppen. Und auch wenn die Rentenreform vorerst ausgesetzt wurde, warten die Linken schon jetzt auf die Aufhebung des Versammlungsverbotes, um zu neuen Gelbwestenproteste aufzurufen – diesmal jedoch begleitet von den „Weißenkitteln“.
Resumé
Im Resumé wird das mühevoll ausgetragene, dennoch aber von Vielen bemängelte Krisenmanagement Macrons, der anfänglichen Aufbruchsstimmung des 2017 vereidigten Präsidenten endgültig einen Dämpfer verpasst haben. Die Franzosen sind eben pessimistischer, als ihr Präsident. Die sonst immer so hoch gehaltene Freiheit, fand bei der Frage um das eigene Wohlergehen ihre Grenzen.
Weitet man den Blick aufs Außenpolitische hingegen, so wird Macron, vorausgesetzt, Frankreich wird seine wirtschaftliche Stärke verteidigen können, ein wichtiger Player auf Europäischer Ebene und bedeutsamer Widersacher zu Populisten der heutigen Zeit bleiben. Im Ausland ist Macron nämlich durchaus beliebt.
*Dieser Artikel ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2/Covid19 Krisen entstanden