Teil 3 meiner “Zeitreise” nach Seoul: Wiedervereinigung.
“Gehst du nach Nord- oder Südkorea?” Mir selber hat man diese Frage nie gestellt, aber von einigen Freunden habe ich gehört, dass man sie mit dieser Frage konfrontiert hatte. Um wirklich 100 Prozent Klarheit zu schaffen: Seoul ist die Hauptstadt von Südkorea (Republik Korea), während die Hauptstadt des anderen Koreas (Demokratische Volksrepublik Korea – give me a break) Pjöngjang ist. Lasst uns doch schnell einen kurzen historischen Rückblick machen.
Kaiserreich und japanische Kolonialherrschaft
Ab 1897 war die vereinte koreanische Halbinsel unter Kaiser Gojong ein Souveräner Staat. 1905 wurde die gesamte Halbinsel Protektorat des japanischen Kaiserreiches und fünf Jahre später vollständig als Kolonie annektiert und in das Reich eingegliedert. Bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs stand Korea (“Choson”, wie es angelehnt an den Namen der vorherigen Dynastie hieß) unter japanischer Besatzung. In dieser Zeit wurde die koreanische Kultur systematisch unterdrückt: bald schon wurde japanisch zur Nationalsprache und alleinigen Unterrichtssprache. Shintoismus wurde zur Staatsreligion und ersetzte so den koreanischen Buddhismus. Grundrechte wie Presse-, Versammlungs- oder Meinungsfreiheit wurde der koreanischen Bevölkerung verwehrt. Der ehemalige Kaiserpalast wurde komplett abgerissen, um für das Gebäude der Kolonialregierung Platz zu machen.
Ende 2. Weltkrieg und Besatzung durch USA und UdSSR
Erst nach der Kapitulation Japans endete die Kolonialherrschaft. Die Halbinsel wurde am 38. Breitengrad in zwei Besatzungszonen geteilt; die nördliche wurde von der Sovietunion besetzt, die südliche von den USA. Für einen gewissen Zeitraum sollte Korea als Treuhandrat von außen verwaltet werden – hier waren sich die USA und die UdSSR einig. Worüber sie sich allerdings nicht einigen konnten, war die Dauer dieses Zeitraums. Eine historische Fehlmeldung einer koreanischen Tageszeitung meldete, die USA seien gegen die Treuhandratverwaltung, die UdSSR hingegen dafür, was Uneinigkeit zwischen den beiden Mächten andeutete.
Eine UN-Resolution des Sicherheitsrats kündigte 1948 freie Wahlen im Land an und befahl den Abzug aller Truppen. Die UdSSR konnte ihre Vetomacht nicht einsetzen, da sie genau zu diesem Zeitpunkt Sitzungen des Sicherheitsrates aufgrund von Unzufriedenheit mit der UN boykottierte. Diese Wahlen fanden allerdings nur im Süden statt, und so wurde am 15. August 1948 die Republik Korea ausgerufen. Der Norden folgte nicht viel später und proklamierte am 9. September die Demokratische Volksrepublik Korea. Tatsächlich war der Norden schon lange darauf vorbereitet gewesen, wollte aber dem Süden den Vorzug geben, um die Schuld der Trennung propagandistisch inszenieren zu können. Noch heute wird in Nordkorea dem Süden die alleinige Schuld für die Trennung der Halbinsel gegeben.
Koreakrieg
Obwohl er einer militärischen Intervention aufgrund der Stärke des amerikanischen Militärs zunächst kritisch gegenüberstand, authorisierte Joseph Stalin 1950 genau dies. Im selben Jahre hatte die UdSSR nämlich erfolgreich als zweites Land der Welt Atomwaffentests durchgeführt, was das militärpolitische Verhältnis mit den USA grundlegend veränderte. Im Laufe der nächsten drei Jahre tobte in Korea der Krieg, in den die UN unter der Führung der USA Truppen entsendete und später auch China eintrat. Das Ergebnis des Krieges war verheerend: das komplette Land lag in Schutt und Asche, Seoul und Pjöngjang waren weitestgehend zerstört, und geschätzte 2,5 Millionen Zivilisten verloren ihr Leben. An der Trennung änderte sich wenig: noch heute liegt die Grenze am 38. Breitengrad.
Demilitarisierte Zone (DMZ)
Offiziell ist der Krieg nicht beendet worden, da ein Friedensvertrag nie unterzeichnet wurde. Vielmehr befinden sich beide Länder in einem seit Jahrzehnten (mehr oder weniger) andauernden Waffenstillstand. Die beiden Länder werden von der Militärischen Demarkationslinie (MDL) getrennt, die von einer vier Kilometer breiten Demilitarisierten Zone (DMZ) getrennt ist: eine der schwerstbewaffneten Regionen der Welt. Diese Zone kann sowohl von Norden als auch von Süden von Touristen besucht werden – und von Seoul aus sind wir an einem Samstag zu einem Tagesausflug dorthin gestartet.
Das erste, das einem auffällt, wenn man gen Norden fährt: Nordkorea ist verdammt nahe an Seoul. Keine 50 Minuten nach Beginn der Fahrt hören wir von unserer tour guide: “Schaut mal, wenn ihr jetzt links rausschaut, könnt ihr Nordkorea sehen!” – als wäre es eine Nebensache. Tatsächlich sieht man keinen Kilometer entfernt am gegenüberliegenden Ufer des Imjin-Flusses nordkoreanisches Festland. Eine halbe Stunde später kommen wir auch schon in der DMZ an. Drei Punkte stehen auf dem Plan: Tunnel, Aussicht und Bahnhof.
Erster Halt ist an einem Monument für eine friedliche Wiedervereinigung der koreanischen Halbinsel sowie ein Museum über die DMZ. Direkt daneben eine Art Haltestation für eine winzige Eisenbahn, die uns mit einem Winkel von gefühlt 45 Grad in über 70 Meter Tiefe bringt. Dort können wir einen engen Tunnel entlanglaufen, den nordkoreanische Soldaten in den Süden gegraben haben. Mehrere Tunnels, die alle zum Zentrum Seouls gerichtet sind, existieren in der DMZ. Einige wurden schon entdeckt, viele weitere werden vermutet.
Nächster Stopp ist eine große Aussichtsplattform, über die wir einen Panoramablick über die DMZ und das angrenzende Nordkorea bekommen. Durch Teleskope lassen sich mehrere interessante Punkte genauer anschauen: eine große Statue von Kim Il-Sung, dem Begründer der koreanischen Kim-Dynastie, eine hoch auf einem Turm montierte Nordkoreaflagge, sowie der Industriekomplex Kaesong, in dem bis Februar 2016 produziert wurde. Dieses gemeinschaftliche Projekt der beiden Koreas gibt südkoreanischen Firmen die Möglichkeit, qualifizierte, gebildete Arbeiter (die fließend koreanisch sprechen) einzustellen, während es für den Norden einen wichtigen Zugang zu ausländischer Währung gibt.
Wir halten uns eine halbe Stunde hier auf, bevor es zum letzten Halt geht: dem nördlichsten Bahnhof Südkoreas auf der durchgängigen Bahnstrecke zwischen Seoul und Pjöngjang. Unsere Reiseleiterin erzählt uns hier groß ihren Traum, eines Tages von Seoul aus über den Norden mit Anschluss an die transsibirische Eisenbahn mit dem Zug nach Europa fahren zu können. Über diese Bahnstrecke kamen südkoreanische Arbeiter bis Anfang des Jahres direkt in den Norden zum Industriepark. Seit der “temporären Schließung” allerdings ist der Übergang gesperrt.
Zum Schluss der Reise dürfen wir uns noch einen zehnminütigen Film über die DMZ anschauen, nach dem wir verwirrt den Saal verlassen. In einer Minute werden tosende Kriegsgeräusche gespielt, im nächsten wird die DMZ als friedlicher Ort inmitten der Natur inszeniert, mit Vogelgezwitscher, Sonnenschein und Rehen (die in Wirklichkeit leider immer mal wieder auf Minen treten, die in der DMZ verstreut sind). Generell wissen wir nach dem Ausflug nicht ganz, was von der ganzen Sachen zu halten ist. Direkt am Parkplatz vor der DMZ ist ein großer Vergnügungspark mit Karussell, Schiffschaukel und Boxautos. Daneben ein Infozentrum mit Dachterrasse und zwei Restaurants – ein Koreaner und ein Popeye’s. Die Anwesenheit einer amerikanischen Fastfood-Kette erscheint mir als ein kapitalistischer Schlag ins Gesicht des Nordens.
Am Ende also scheint unsere Tour an die Grenze zum letzten totalitären Absolutismus der Welt mehr über Südkorea auszusagen, als über den Norden. Wieder etwas dazugelernt.
Wer mehr über den Alltag und die momentane Situation in Nordkorea erfahren möchte, kann gerne bei meinen Blogeintrag “Steinzeitsozialismus FTW!” vorbeischauen.
Die Karte stammt aus meinen Vorlesungsunterlagen aus dem Kurs “Politics, Society, and Culture of North Korea”.
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