Prunk – prunkvoller – Carnevale. So erlebte ich den Karneval in Venedig. Dort, wo sich auf kleinstem Platz tausende fantasievolle und magische Wesen tummelten. Ein Spaziergang über die Brücken und verwinkelten Gassen glich nahezu einer Reise in ein Märchenland. In romantischen Fähren glitten anmutig bekleidete Menschen über die Kanäle. Nahezu jeder Winkel bot eine sagenhafte Fotokulisse (Da bekommt der englische Ausdruck „fairy tale / ferry tale“ gleich eine ganz neue Bedeutung).
Venedig ist ja ohnehin schon eine atemberaubende Stadt. Der Glanz der barocken Hauskulissen wird durch die Wasserspiegelungen im Kanal noch verdoppelt. Zusätzlich wird dieser entzückenden Atmosphäre zur Karnevalszeit sogar noch Leben eingehaucht. Sehen und gesehen werden. Das scheint das Motto für den venezianischen Karneval zu sein. Besonders auf dem Markusplatz ist es schwer sich nicht gegenseitig zu verlieren, da sich Touristen und Fotografen nahezu überall um bezaubernd aussehende, maskierte Menschen gruppieren. Diese scheinen den ganzen Tag nichts anderes zu machen, als graziös zu posieren, um von so vielen Fotoapparaten wie möglich abgelichtet zu werden.
Für mich war dieser Aufruhr natürlich auch sehr aufregend. Meine neue Systemkamera war im Dauereinsatz und ich hatte das Gefühl mich an den vielen barocken und Rokoko Kostümen nicht sattsehen zu können. Doch schon bald war mir der Menschenauflauf zu viel und ich hatte es satt nur die aufgesetzte Maskerade der Stadt zu sehen.
Also entschied ich mich nach Murano, der Glasbläser-Insel zu fahren. Auch hier traf ich auf zahlreiche Maskierte, doch die drückende Menschenmenge, die versuchte das beste Foto von ihnen zu ergattern fand ich nicht mehr vor. Oder zumindest nicht mehr zu diesem Ausmaß.
Die Insel Murano gefiel mir auch insbesondere, da die Menschen hier nicht nur „anmutig in der Gegend rumstanden“, sondern tatsächlich auch ihr künstlerisches Talent zur Schau stellten. So konnte ich beispielsweise in einer Glasbläserei beobachten, wie eine Vase und ein Glas-Pferd erarbeitet wurden.
Was mir jedoch fern ab von dem ganzen Trubel der Touristenmassen mit Abstand am meisten gefiel war ein ruhiger Spaziergang durch das ehemalige Ghetto Venedigs. Erst kurz vor dieser Reise erfuhr ich, dass das erste Ghetto der Welt seine Wurzeln in Venedig hat. In dieser so bezaubernd wirkenden Stadt wurden ab dem 16. Jh. die verachteten Juden auf einer separaten Insel angesiedelt. Die Bootsfahrt auf die Insel und von der Insel weg wurde streng kontrolliert, so dass die Juden von der übrigen Bevölkerung getrennt lebten. Da diese Insel Ursprünglich eine Gießerei war und „gießen“ auf italienisch „gettare“ heißt, entstand schnell das word „Ghetto“ für diesen Wohnbezirk.
Fernab von der Maskerade und dem aufgesetzten Prunk am Markusplatz hatte ich nun hier im Ghetto das Gefühl das authentische Venedig zu erkennen. Die viel höheren Häuser und verfallenen Fassaden weckten den Eindruck, dass die Menschen hier wohl zusammengepfercht und außer Acht gelassen wurden. Die düstere und erschütternde Atmosphäre kann mit der des Markusplatzes nicht verglichen werden. Die verfallenen und verlassenen Häuser des Ghettos wirkten auf mich noch viel verkommener, wenn ich mir überlegte, dass gerade einmal 20 Gehminuten entfernt anmutig gekleidete Maskierte für die schönsten und prunkvollsten Fotos um die Wette posierten.
Der Besuch in Venedig öffnete mir die Augen, wie eng Schein und Realität beieinander liegen. Wie leicht kann doch die dramatische Vergangenheit unter den Tisch gekehrt werden, indem die Touristenplätze geschmückt werden und sich Einwohner und Besucher anmutig kostümieren. In Venedig sieht man nur was man sehen will. Doch meiner Meinung nach lohnt es sich auf jeden Fall auch mal einen Blick hinter die Maskerade zu werfen und dem wahren Venedig ins Gesicht zu blicken.