Vor knapp eineinhalb Monaten bin ich in Mexiko angekommen und habe seitdem schon so Einiges sehen und erleben können. Generell möchte ich einfach mal ein wenig erzählen, wie es mir geht, was ich so mache, was ich merke und denke. Denn diesen Blog habe ich bisher eher benutzt, um Erfahrungen bzw. erlangtes Wissen über verschiedene Sachen zu dokumentieren – eher für mich, sodass ich die vielen Gedanken in meinem Kopf in Zukunft verschriftlicht wiederfinden kann (Zugang zu einem Denkarium oder ähnlichem habe ich leider noch nicht, auch wenn es oft richtig hilfreich wäre). Außerdem ist mir gerade erst eingefallen, dass ich schon die Hälfte meiner Zeit hier überschritten habe – und musste dementsprechend auch meine Überschrift geschwind anpassen.
Zunächst ist mir nach einigen Wochen in Mexiko aufgefallen, dass sich dieser Abschnitt meiner Auslandsemester in vielen Aspekten von meiner Zeit in Seoul unterscheidet. Generell merke ich, dass ich mich auch anders verhalte. Zum einen liegt dies daran, dass ich längst nicht Freunde habe, wie ich sie in Seoul hatte – sprich, Leute mit denen man sich Abends oder am Wochenende spontan treffen kann, sei es, um durch die Stadt zu spazieren, einkaufen zu gehen oder nach der Arbeit noch schnell ein Bierchen zu trinken (wobei ich hier das Gefühl habe, dass Tequila das dominierende Freizeitgetränk ist). Ich bin also eigentlich nur am Wochenende im Stadtzentrum, auch weil ich unter der Woche mehr oder weniger 11 Stunden von zuhause weg bin und danach normalerweise sowieso nicht mehr viel mache.
Die meiste Zeit verbringe ich eigentlich bei meinen Eltern, was nach über zwei Jahren alleine bzw. in einer WG wohnen zwar schön ist, aber zunächst doch gewöhnungsbedürftig war. Meine Eltern werden die nächsten drei Jahre in Aguascalientes verbringen, weil mein Papa seit einigen Monaten hier arbeitet. Dies gibt dem Auslandsaufenthalt eine ganz besondere Note, weil ich eigentlich daheim bin. Im neuen Zuhause hier fühle ich mich sehr wohl und genieße die Zeit bei meinen Eltern, auch weil ich sie von Regensburg aus eigentlich nur drei oder vier Mal im Jahr zuhause besucht habe. Dementsprechend ist meine Zeit hier ein sehr entspanntes Intermezzo, bevor ich Mitte Oktober für mein zweites Praktikum für drei Monate alleine nach Taipei gehe.
Auch wenn ich in meiner Freiheit natürlich in keiner Weise eingeschnitten bin, habe ich doch irgendwie manchmal das Gefühl, nicht so „flexibel“ zu sein wie damals in Seoul oder Regensburg. Wer schon eine längere Zeit alleine gewohnt hat und dann wieder zuhause einzieht, wird eventuell verstehen, was ich meine. Einfach die Tatsache, dass alles, egal wie trivial, angekündigt und abgesegnet werden muss. Alles natürlich nicht tragisch, aber der Unterschied zu vorher fällt schon auf.
In der Arbeit habe ich viele Leute kennengelernt, aber besonders gut verstehe ich mich eigentlich mit den Chinesen – mein Praktikum mache ich nämlich in einer Firma, die ursprünglich aus China stammt und seit einigen Monaten in Aguascalientes eine Fabrik hat. Tagsüber kann ich deswegen nicht nur mein Spanisch, sondern auch mein Chinesisch anwenden und verbessern. Was ich bisher einige Male machen durfte, ist von Spanisch zu Chinesisch zu übersetzen – von verbessern kann da eigentlich nicht wirklich die Rede sein! Ich würde es eher „verzweifeltes Blättern im Wörterbuch“ nennen. Und doch hat es bisher nicht einmal so schlecht funktioniert. Bei Wörtern wie Konduktion, polieren oder Schwefelsäure hängt es allerdings noch ein wenig.
Ansonsten versuche ich, so viel wie möglich aus der Zeit hier zu nehmen und zu machen. Einige Wochenendtrips nach Mexiko Stadt, Guanajuato oder San Miguel de Allende habe ich in diversen Konstellationen schon machen können – und dieses Wochenende geht es wieder weg, weil mich eine amerikanische Freundin besuchen kommt, die ich in Seoul kennengelernt habe.
Kurz gesagt, bisher fühle ich mich in Mexiko sehr wohl. Selbst nachdem ich lange in Korea und kurz in Japan war, kann ich sagen, dass die Mexikaner zu den freundlichsten, hilfsbereitesten und nettesten Menschen zählen, die ich bisher kennengelernt habe (hier können sich so einige Deutsche mal eine Scheibe von abschneiden). Egal ob im Laden, auf der Straße oder im Büro, wenn man nach etwas fragt bekommt man immer eine freundliche Antwort – und eigentlich immer wird einem dabei auch geholfen.
Was mir aber auch aufgefallen ist, ist, dass man in Mexiko viel eher mit Armut konfrontiert wird, als in Ländern wie China oder Korea, in denen Armut sehr wohl genauso existiert. Nicht nur wird viel mehr gebettelt als in Städten wie Peking oder Seoul, sondern wird dazu auch sehr aktiv auf Menschen zugegangen. Ob an der Kreuzung im Auto oder im Café auf der Terrasse, man wird oft von den Menschen angesprochen und nach Geld gefragt – selten aber ohne „Gegenleistung“. An Ampeln werden Windschutzscheiben in Windeseile geputzt, um fertig zu werden, bevor es grün wird. An Kreuzungen sieht man akrobatischen Darbietungen zu, die danach schnell von Auto zu Auto laufen, um ein paar Münzen einzusammeln. Oft hört man dann, wie sie sofort nach Erhalt einer Münze den anderen in ihrer Gruppe ihren Wert zurufen. Was man aber leider auch oft sieht, sind Bettler, die für eine OP oder eine gesundheitliche Behandlung Geld sammeln. Wie viel sie dafür insgesamt brauchen weiß man nicht, und wie lange sie schon sammeln auch nicht (normalerweise gibt man hier zwischen einem und vier Pesos – zwischen fünf und 20 Eurocent. Der Mindestlohn liegt in Mexiko bei etwas über 73 Pesos pro Tag – 3,50€).
In solchen Momenten merkt man, wie unvergleichbar gut es den Menschen in Deutschland geht, wo absolute Armut nicht existiert, Studieren weitestgehend umsonst ist und Krankenversicherungen Pflicht sind. Jeder hat mehr oder weniger die selben Chancen, seine Ziele zu verwirklichen: Wer intelligent ist, sich das Studium aber nicht leisten kann, erhält BAföG oder ein Stipendium. Mit Erasmus kann man Auslandsemester in der EU mitfinanzieren. Wirklich hungern muss – wenn überhaupt – ein winzigster Teil der Bevölkerung, und der Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung bei uns ist fantastisch.
All das soll nicht heißen, dass Deutschland die perfekte Lösung auf alle Fragen hat oder genau so wenig, dass Mexiko ein Entwicklungsland mit zügelloser Armut ist. Trotzdem finde ich, dass man gerade durch Auslandsbesuche ein Bild von anderen Ländern bekommt und dadurch den Vergleich zu Deutschland ziehen kann und dann merkt, wie gut es uns eigentlich geht.
So viel erst mal dazu. Mexiko ist ein wunderschönes Land mit wahnsinnig freundlichen und fleißigen Menschen, und ich bin gespannt, was mich in meiner zweiten Hälfte alles erwartet.
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