Lob & Kritik an der jungen Premierministerin
Hart aber herzlich. So oder so ähnlich könnte man Jacinda Arderns Krisenmanagement in der Corona-Krise bezeichnen. Während andere Staatsoberhäupter fragwürdige Aussagen treffen, zeigt sich die Premier Ministerin von Neuseeland ihren fünf Millionen Bürgern gegenüber transparent und zuverlässig bei täglichen Pressekonferenzen, live im nationalen Fernsehen.
Auch für mich war ihr täglicher Auftritt ein kleiner Lichtblick im Dschungel der Ungewissheit, der sich im 12. Stock meines Apartments in Auckland zusammenbraute, damals im April 2020. Wenn Familie, Freunde und Universitäten keinen Rat wissen und das Bauchgefühl entscheiden muss, ob man die Pandemie nun 18.000 KM von Zuhause entfernt in Angriff nimmt oder doch lieber per Rückholaktion in die Heimat reist, dann ist es hilfreich ein Staatsoberhaupt zu haben, dass durch Transparenz und Nahbarkeit glänzt. Da jedoch jede Medaille zwei Seiten hat, muss man neben Lobeshymnen auch ein Augenmerk auf verschiedene Kritikpunkte an Arderns Politik richten.
Wofür man Ardern lobt
TRANSPARENZ. Auf Neuseelands Straßen, im Fernsehen und sogar auf Instagram: Überall prangen auffällige Unite against Covid-19 Schriftzüge mit Informationen zur persönlichen Hygiene oder politischen Maßnahmen. Die Informationskampagne der Regierung ist ein zentraler Anlaufpunkt, um sich über die Entwicklung im Land zu informieren.
Mittlerweile wurde die Initiative zu Unite for the recovery umbenannt, um gemeinsam die Auswirkungen der Pandemie zu bekämpfen. Dass Neuseeland bereits Richtung recovery blicken kann, ist Ardern’s Vier-Phasen-Strategie zu verdanken: Eliminierung durch vollständigen Lockdown (z. B. Grenzschließungen, Kontaktverbote und Ausgangsbeschränkungen im persönlichen Umfeld; Phase 4), erste Lockerungen für Schulen und Arbeitsverhältnisse aber weiterhin starke Regulierungen im öffentlichen Leben (Phase 3), Zusammenkünfte bis 100 Personen sofern Abstandsregeln eingehalten werden (Phase 2), Einreisebeschränkungen aber weitgehende Aufhebung nationaler Maßnahmen (Phase 1). Als das Virus im Land ankam, griff die Regierung ein und Phase 4, die komplette Abriegelung des Landes und laut Stringency Index der Oxford Universität einer der stärksten Lockdowns der Welt, trat in Kraft. Während in anderen Teilen der Welt gegen die Einschränkungen protestiert wird, gibt es in Neuseeland keine Demonstrationen gegen die strengen Maßnahmen des Labour-Oberhaupts.
Ein Grund für die Geduld und das Vertrauen der Neuseeländer in ihre Premierministerin war sicherlich die Transparenz, mit der die Anti-Corona-Strategie kommuniziert wurde. Die oben genannte Informationskampagne in Verbindung mit dem leicht verständlichen Vier-Phasen-Plan sorgt für Übersicht: die Bürger fühlen sich informiert und wissen mit welchen Maßnahmen sie bei der jeweiligen Stufe zu rechnen haben. Damit hat Neuseelands Regierung so viel Voraussicht gezeigt wie eben möglich während einer globalen Krise.
Abbildung 3: Jacinda Ardern präsentiert den 4-Phasen-Plan zur Bekämpfung des Virus, Quelle: Beehive.govt.nz
NAHBARKEIT UND ZUSAMMENHALT. Die Corona-Pandemie war nicht die erste schwerwiegende Krise mit der Ardern im Laufe ihrer Amtszeit zu kämpfen hatte. Ein Terror-Anschlag und ein Vulkanausbruch im Jahr 2019 forderten ihr Feingefühl. Bereits damals wurde die Premierministerin für ihr Mitgefühl und ihre Stärke gelobt.
Während der Corona-Pandemie konnte Ardern der Bevölkerung nun noch einmal Kraft schenken, indem sie vereint, anstatt zu spalten. Andere Staatsoberhäupter legen den Fokus auf wirtschaflichen Wiederaufbau, Ardern hingegen motiviert die Gesellschaft auf Schwächere zu achten und gemeinsam durch die Krise zu schreiten. Mit den strengen Lockdown-Regelungen der Stufe 4, war es zum Beispiel nur noch sogenannten Essential-Services erlaubt zu agieren. Mit einem Schmunzeln im Gesicht erklärte Ardern, dass der Osterhase und auch die Zahnfee definitiv zu diesen essenziellen Services gehören. Zudem versorgt die Premierministerin die Bevölkerung über Instagram regelmäßig mit Fotos aus dem eigenen Lockdown-Quartier und beweist damit: We’re all in this together. Neben Transparenz und Volksnähe spricht aber vor allem eines für Jacindas Beliebtheit: Der Erfolg ihrer Anti-Corona-Strategie. Neuseeland gilt mit knapp 1200 Fällen und 22 Toten am 8. Juni als Corona-frei.*
*Anmerkung: Es werden mittlerweile wieder Fälle gemeldet, welche durch Rückkehrer verursacht wurden. Da sich Einreisende jedoch verpflichtend in Quarantäne begeben müssen bleibt zu hoffen, dass eine weitere Wiederausbreitung des Virus verhindert werden kann.
Wofür man Ardern kritisiert
MANGELHAFTE RÜCKHOLMAßNAHMEN UND STRIKTE GRENZPOLITIK. Während die Premierministerin ihre Bevölkerung zum Zusammenhalt animiert, sind Neuseeländer, die sich außerhalb des Landes befinden, auf sich allein gestellt. Für mich als Deutsche war relativ schnell klar, dass ich nach Hause kann: Per Rückholaktion der Bundesregierung. Im Ausland gestrandete Neuseeländer mussten wesentlich länger auf ein Rückholprogramm der Regierung warten und teilweise tief in die Tasche greifen, um kommerzielle Flüge in die Heimat anzutreten.
Noch schlimmer hat es die Menschen getroffen, die Neuseeland seit Jahren ihre Heimat nennen aber keine Staatsbürgerschaft besitzen und sich in den Stunden der Abriegelung im Ausland befanden. Das von Fachkräftemangel geplagte Land vergibt spezielle Arbeitsvisa, um diesem Mangel entgegenzuwirken. Während einer Krise, gehören zugewanderte Arbeitskräfte aber scheinbar nicht zu Arderns 5-Millionen-Team, denn die Einreise ist ihnen seit Monaten gänzlich untersagt.
WIRTSCHAFT. Bereits vor Corona war Ardern nicht gerade beliebt für wirtschaftliche Entscheidungen. Steuererhöhungen brachten der jungen Frau den Spitznamen Taxinda ein, denn mit der damit verbundenen Erhöhung der Kraftstoffpreise waren viele Neuseeländer zunehmend unzufrieden. Auch während der Pandemie erntet Ardern Kritik für die harten Maßnahmen, die Handel und Tourismus mehr schädigen, als es die Pandemie ohnehin würde, sagen ihre Kritiker.
Für ihr Krisenmanagement und ihre Humanität wird sie geliebt, aber bei wirtschaftlichen Entscheidungen eher misstrauisch beäugt. Ob Arderns derzeitige Beliebtheit ausreichen wird, damit ihr die Bevölkerung auch mit der Bekämpfung der enormen wirtschaftlichen Folgen vertraut, wird sich in den Wahlen im September zeigen.
Was man im Hinterkopf behalten sollte
Bei allem Lob und aller Kritik an anderen Staatsoberhäuptern der Welt, eines sollte man beim Beispiel Neuseeland nicht vergessen: Es ist ein Inselstaat und mit einer Gesamtbevölkerung von fünf Millionen Menschen. Grenzen schließen und einen eigenen Kurs einschlagen ist also etwas einfacher gesagt und getan als in anderen Teilen der Welt. Und trotzdem: Durch den direkten Vergleich, den ich erleben durfte, beim Start der Krise in Neuseeland und jetzt in Deutschland, habe ich das Gefühl, dass das Krisenmanagement in Neuseeland von Transparenz und Teamgeist geprägt war. Dinge die man in Zeiten einer solch außergewöhnlichen Situation nicht nur als internationale Studentin am anderen Ende der Welt braucht.
Autorin: Lena Popp.
*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.