Autorin: Olga Koeva
Die Glocken schlugen 12.00 Uhr. Ich saß ungeduldig und ein wenig aufgeregt auf der Orgelbank und zählte die Minuten, die mir wie lange endlose Stunden erschienen. Die Regensburger Niedermünsterkirche war voll; Besucher kamen aus allen Stadtteilen, um der Mittagsmusik am 29.02. beizuwohnen. „Herzlich willkommen zur heutigen Mittagsmusik in der Niedermünsterkirche!“, hörte ich die Stimme eines Mitglieds des Organisationsteams. „Heute wollen wir alle die Aufführungen der Organistin und Sängerin Olga Koeva genießen. „Von Frank bis Rheinberger“: so lautet das Motto des heutigen Konzerts“.
Während ich alle Stücke aufführte und die wunderbare Orgel und Akustik der Kirche genoss, vermutete ich überhaupt nicht, dass dieses Konzert wahrscheinlich mein letzter Auftritt für dieses Jahr sein würde. Damals wusste ich noch nicht, dass sich der Coronavirus so schnell verbreiten und zu unzähligen Veränderungen im Alltag jedes Menschen führen würde. Im Laufe der Zeit wurde mir, so wie jedem Musiker auf dieser Welt, klar, dass Musikerinnen und Musiker lange keinen direkten Kontakt zu ihren Zuhörern aufnehmen und ihren langen Applaus nicht genießen können. Damit aber wir Musiker unsere Fähigkeiten nicht verlernen und damit uns die Zuhörer in diesen schweren Zeiten nicht vermissen, war es notwendig, auf moderne Technologien zurückzugreifen und virtuelle Musikveranstaltungen (egal ob Konzerte oder Gottesdienste) für alle zur Verfügung zu stellen. Welche Strategien verwenden Musiker zu diesem Zweck? Welchen Zugang hat das Publikum darauf? Genau diese und viele andere Fragen werden im Laufe dieses Artikels behandelt.
Online-Konzerte und -Gottesdienste: Zugang zur Livemusik per Knopfdruck
Momentan bestehen es unterschiedlichste Methoden, Online-Konzerte zu gestalten und auf diese Weise das Publikum, das aufgrund des Verbots von öffentlichen Veranstaltungen zuhause bleiben sollte, zu unterhalten. Große Opernhäuser (wie z.B. die Wiener Staatsoper) übertragen kostenlos Konzerte aus ihren Archiven. Manche Künstler streamen ihre Konzerte auf sozialen Netzwerken. Andere tun dies anhand bestimmter über digitales Fernsehen zugängliche Plattformen. Genau auf diese Weise stellte die russische Rockband „Aria“ ihr Online-Konzert am 03.04.2020 zur Verfügung. Das Event war über die Plattform Wink zugänglich, die allen Nutzern des Digitalfernsehens in Russland zur Verfügung steht. „Die Coronapandemie hat unsere geplante Konzertreise abgebrochen“, behaupten die Solisten der Band im Interview vor dem Konzert. „Dieses Online-Konzert ermöglicht uns, unsere Fans, wenn auch auf Abstand, zu treffen. Wir vermissen unsere Liveauftritte und sind gespannt, euch allen virtuell zu begegnen“, so die Solisten.
Natürlich sind Rockmusiker nicht die Einzigen, die Livemusik auf Abstand aufführen. Organisten profitieren auch von den modernen Technologien und bringen ihr Repertoire häufig über YouTube zum Klingen. Gute Beispiele dafür sind die Niederländer Arjen Leistra, Rien Donkersloot und Sietze de Vries, die ihre Konzerte aus unterschiedlichsten Kirchen der Niederlande Live über YouTube streamen. Bei diesen Livestreams besteht immer die Möglichkeit, im Chat Kommentare zu schreiben, woraus nicht selten lebendige Diskussionen über Orgelmusik resultieren. Diese Veranstaltungen erfreuen sich großer Beliebtheit und werden von Zuhörern aus der ganzen Welt „besucht“.
Die Organisatoren der Mittagsmusik haben hingegen eine ein wenig andere Strategie entwickelt, um das Publikum zu amüsieren. Da die Konzerte wahrscheinlich bis Ende Oktober entfallen werden, ist der Auftritt aller auf dem Programm stehenden Musiker verhindert. Deshalb wurden all diese Künstler gebeten, jede Woche ein kurzes Video aus ihrem Programm auf den YouTube-Kanal der Veranstalter hochzuladen. So können alle Liebhaber der Mittagsmusik die wohlbekannte Atmosphäre der wöchentlichen Konzerte in Erinnerung rufen und die kleinen „Leckerbissen“ genießen.
Letztendlich wurden auch Kirchen auf Online-Modus umgestellt. Nach dem Verbot von öffentlichen Gottesdiensten in Bayern wurden z.B. die Sonntagsmessen in der Pfarrei „Mariä Himmelfahrt“ in Irlbach, wo ich als Organistin tätig bin, live auf YouTube übertragen. Während nur der Pfarrer, der Mesner und ich in der Kirche sein durften, konnte die ganze Gemeinde an den Bildschirmen jeden Gottesdienst feiern. Jeder Livestream wurde von vielen positiven Kommentaren der Gemeinde begleitet und das machte uns immer froh.
Unterschiede zwischen Musikveranstaltungen mit und ohne Publikum
Die Online-Konzerte unterscheiden sich deutlich von Liveaufführungen. Wenn Musiker im leeren Saal auftreten, haben sie keinen direkten Kontakt zu ihrem Publikum. Die Zuhörer, die die Texte aller Lieder einer bestimmten Band kennen und beim Livekonzert zusammen singen dürfen und wollen, können dies bei einem virtuellen Konzert nicht tun. Sie können zuhause mitsingen, aber die Ausführenden werden es wohl nicht erleben und der emotionale Aspekt des Ganzen entfällt. Auch für den Organisten ist diese neue Art von Auftritten ungewöhnlich. Der lange Applaus nach dem Konzert wird ihm bestimmt fehlen und die interessanten Gespräche mit den Zuhörern auch, die der Livechat nicht ersetzen kann. Außerdem sind solche Konzerte meist kostenlos, es gibt in den meisten Fällen keine Eintrittskarten . Also die finanzielle Situation der Musiker verschlechtert sich. Immerhin ist es z.B. bei den Konzerten von Donkersloot und de Vries möglich, zu spenden, was viele Zuhörer machen. Das hilft den Musikern, die nächsten Livestreams zu organisieren.
Trotzdem sind solche Online-Veranstaltungen für alle von großem Vorteil. Jeder, der aus einem oder anderen Grund dem Konzert nicht Live beiwohnen kann, kann per Knopfdruck darauf zugreifen, ohne die Wohnung zu verlassen. Dazu gehören auch Vertreter der Risikogruppen, die lieber zuhause bleiben sollten. Außerdem sind die meisten Online-Konzerte wirklich für jedermann verfügbar. Bei einem der Konzerte von Donkersloot und de Vries gab es z.B. Zuhörer aus der ganzen Welt, mit denen ich während des Chats Kontakt aufgenommen habe.
Obwohl die Online-Gottesdienste nicht alle Charakteristika der klassischen Messfeiern besitzen, die für die Gemeinde außerordentlich wichtig wären (wie z.B. die Kommunionausteilung oder Gabenbereitung), sind sie für den Alltag der Gläubigen sehr hilfreich. In der Irlbacher Pfarrei ist das Feiern der Gottesdienste für jeden eine Selbstverständlichkeit. Ob jung oder alt, gesund oder krank, jeder nahm an den Gottesdiensten vor der Coronakrise teil. Momentan ist diese Teilnahme nicht für jeden möglich und deshalb ist jedes Mitglied unserer Gemeinde dankbar, auf diese Weise von den modernen Technologien zu profitieren.
Blick in die Zukunft
Die obengenannten Beispiele zeigen, dass virtuelle Konzerte und Gottesdienste zu einer neuen Tendenz geworden ist. Ich denke, dass dies auch nach der Coronakrise der Fall sein wird. Auch wenn es in Zukunft Livekonzerte und Messfeiern geben wird, werden sie wahrscheinlich Online übertragen. So können Musiker einen breiteren Zuhörerkreis gewinnen und Pfarreien können die Anzahl der Gemeindemitglieder erhöhen.
*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.