Spannend, Tunesien! Ganz anders als erwartet. Viel offener, freier, liberaler. Gerade im Vergleich zu Marokko war es enorm spannend, sich auf die Suche nach den Unterschieden und Maghreb-Gemeinsamkeiten zu machen.
Living in Tunis seit mittlerweile einem Monat. Ein Monat, in dem ich so viel schon verstanden, beobachtet und hinterfragt habe. Ein Monat, in dem ich Freunde gefunden, einen Berg bestiegen und mich im Mittelmeer treiben gelassen habe. Ein Monat voll Sonnenschein, Platzregen und Wolkendecke und meist alles an einem Tag.
Living in Tunis ist Alltag gefüllt mit Außergewöhnlichem. So liegt meine Wohnung, in der ich mit einer Schwedin, einem Tunesier und einem Norweger zusammen wohne, gar nicht in Tunis, sondern im 15 Kilometer entfernten La Marsa. Genialer Zufall, sofortige Entscheidung, riesiges Glück! Die WG liegt nämlich genau sechs Minuten in Fußentfernung vom Büro der HSS. Darin liegt mein Zimmer jedoch nicht auf der Ebene der Küche und des riesigen Wohnzimmers, sondern ein Stockwerk weiter oben. Es ist letztlich ein kleines, fast autonomes Minihäuschen, das auf die Terrasse gesetzt wurde. So habe ich enorm viel Platz, Ruhe und vor allem einen wunderbaren Blick Richtung Tunis. Auch die Sonnenuntergänge in der Abendstimmung sind wirklich unschlagbar.
Living in Tunis ist zunächst einmal Arbeit. Anspruchsvolle, bildende und spannende Arbeit. In dem kleinen Team von 12 Mitarbeitern habe ich auf Anhieb meinen Platz gefunden, werde als Teil des Ganzen akzeptiert und geachtet. Die Arbeit, die ich mache, variiert stündlich und betrifft wohl jeden einzelnen Aspekt von deutscher Stiftungsarbeit im Ausland. Gleichzeitig ist es für mich aber auch ein Schatz des Lernens, Recherchierens und Beitragens mit allem, was ich weiß. Sogar meine Ideen, von denen täglich gleich mehrere entstehen, werden hier gehört und angenommen. So muss ich zugeben, dass sich mein Auslandsjahr wirklich genial entwickelt hat. Ich hatte so ein pures Glück, dass ich es oft gar nicht verstehen mag.
Living in Tunis ist aber natürlich auch eine Zeit in einem sehr dynamischen Land. Viel ist hier noch sechs Jahre nach der Revolution im Wandel. Selbst als Tunesien-Laie spüre ich die gewaltigen Kräfte, die hier aneinanderreihen. Die alten Beamten mit Ben Ali im Kopf, die nun Posten als Demokraten ausüben. Der alte unterentwickelte Bildungssektor, der nun plötzlich kritische Bürger hervorbringen soll. Die Tunesier, die keine Bildung genießen und in Armut schwimmen sollen nun die Wirtschaft ankurbeln und Demokratie leben. Spannend also, sich genau hier mit den Menschen um mich herum zu unterhalten. Wissen sie die Freiheit, von der sie nun Gebrauch machen können, überhaupt zu schätzen? Oder fehlt ihnen die Geduld, der neugeborenen Demokratie ein paar Jahre Zeit zu geben, um sich zu bewähren?
Living in Tunis ist auch ein großes Netzwerk an Internationalen und Locals, die über etliche Ebenen verbunden sind. So treffe ich beim wöchentlichen Couch Surfing Meeting einen Libyer, der aus Zuara westlich von Tripolis kommt. Ich stelle ihm einige Fragen, über die ich während meiner Recherche gestolpert bin. Zwei Tage später erhalten wir seine Bewerbung, um bei uns als Libyenexperte zu arbeiten. Gleichzeitig reagiert er auf meine Anzeige, dass in unserer Wohnung ein Zimmer frei ist und möchte gerne bei uns wohnen. Und als er eine Woche später bei einer unserer Veranstaltungen dabei ist, trifft er sämtliche libysche Klassenkameraden wieder und fühlt sich wie auf einer Klassenfeier. So hängt alles zusammen. Jeder kennt sich, der nicht von hier kommt. Und jeder unterstützt sich, leitet weiter und schafft neue Verbindungen in diesem undurchschaubaren Netz.
Living in Tunis – leider nur für drei Monate. Aber dennoch ist es jetzt schon eine sehr reiche und spannende Zeit, in der ich schon so einiges gelernt habe. So freue ich mich auf die kommenden Wochen, auf die nächsten Gespräche und die neuen Eindrücke. Nun bin ich aber erst einmal geschafft von der großen Wanderung, die ich heute mit meinen Mitbewohnern südlich von Tunis gemacht habe und werde heute Nacht sicherlich super schlafen, das steht fest.