Am 08. März wurde in Italien eine allgemeine Ausgangssperre ausgerufen. Gerade einmal fünf Stunden zuvor war ich in Padua angekommen, um mein Auslandssemester zu beginnen. Dies bedeutete, dass nicht nur alle Geschäfte schließen mussten (abgesehen von Lebensmittelgeschäften und Apotheken), sondern auch Italiens Grenzen. Die Bürger durften nur noch zum Einkaufen, für Arztbesuche oder für die Arbeit das Haus verlassen. Ein komisches Gefühl, in einer so schönen, jedoch fremden Stadt „eingesperrt“ zu sein. Nach wenigen Tagen in Padua entschloss ich mich daher, meine Sachen zu packen und zurück nach Deutschland zu kehren, doch dies war durch die Grenzschließungen gar nicht mehr so einfach. Ein Moment, in dem ich realisiert habe, welches Privileg ich habe, dass die Länder Teil des Schengener Abkommen sind, und ich die Freiheit genieße, mich innerhalb dieser Länder so zu bewegen wie ich möchte. Doch wie ist dieses Abkommen zustande gekommen und was passiert in einer Ausnahmesituation, wie wir sie heute erleben?
historische Fakten zu dem Schengener Abkommen:
1985 unterzeichneten die fünf europäischen Länder Deutschland, Frankreich, Belgien, Niederlande und Luxemburg das Abkommen von Schengen, welches dafür sorgte, dass Kontrollen bei Grenzübergängen schrittweise abgeschafft werden sollten. Zur Umsetzung dieses Abkommens wurde 1990 zusätzlich das Schengener Durchführungsübereinkommen (SDÜ) unterzeichnet, welches seit 1995 in Kraft ist. Dieses hat viele Vorteile: Bürger haben durch den Wegfall der Grenzkontrollen innerhalb der Schengen-Länder die Möglichkeit, sich frei zu bewegen, und genießen zudem ein gewissen Grad an Sicherheit. Es gibt einem die Freiheit, selbst zu entscheiden, wo und wie lange man sich in dem jeweiligen Land aufhalten möchte (Drittstaatsangehörige dürfen sich max. 90 Tage pro Halbjahr mit gültigen Schengen-Visum im Schengen-Bereich aufhalten). Außerdem wird eine gemeinsame Asyl- und Sicherheitspolitik verfolgt. Das Abkommen ist seit 1999 durch den Vertrag von Amsterdam mit in den einheitlichen institutionellen Rahmen der Union einbezogen worden, weshalb heutzutage 26 Länder an dem Abkommen beteiligt sind.
Diese Freiheit, die man genießt, Grenzen ohne Kontrollen und Probleme zu überschreiten nimmt man erst wahr, wenn man das Gegenteil erleben muss.
Nachdem Österreich als erster EU-Staat seine Grenzen zu Italien geschlossen hatte, und somit die Schengen-Regelung wegen Corona außer Kraft gesetzt hat, war es nicht mehr möglich, ohne Weiteres nach Deutschland zu gelangen.
Wie regelt das Abkommen Ausnahmesituationen?
Wird eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit festgestellt, so gibt der „Schengener Grenzkodex“ (codified SBC) den Mitgliedstaaten die Möglichkeit, vorübergehend wieder Grenzkontrollen an den Binnengrenzen einzuführen. Die Europäische Kommission kann Stellungnahme dazu beziehen, jedoch kein Veto gegen diese Entscheidung einlegen, wenn ein Mitgliedstaat diese trifft. Wichtig ist jedoch, dass die Wiedereinführung von Grenzen eine Ausnahme bleibt und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bewahrt wird. Dies bedeutet, dass die Europäische Union (EU) nur die erforderlichen Maßnahmen ergreifen soll, um ihre Ziele zu erreichen.
Werden Grenzkontrollen an Binnengrenzen wieder eingeführt, muss das Land außerdem beachten, dass der Umfang und die Dauer dieses Vorgehens auf das absolute Minimum beschränkt sind. Zudem besagt der Grenzkodex, dass dieser Schritt immer nur als letztes Mittel eingesetzt werden sollte.
Innerhalb des Schengener Grenzkodex gibt es mehrere Unterscheidungen:
- Vorhersehbare Fälle (Art. 25 u. 26 codified SBC):
Bedarf es Grenzkontrollen aufgrund eines vorhersehbaren Ereignisses (z.B. Sportevent), kann dies für max. 30 Tage eingeführt werden bzw. so lange wie die Situation es erfordert, jedoch höchstens sechs Monate. Das jeweilige Land muss mindestens vier Wochen vorher die Mitgliedsländer und die Kommission über die Grenzkontrollen informieren.
- Ereignisse, die sofortiges Handeln erfordern (Art. 28 codified SBC)
Ein Mitgliedsstaat kann ohne vorherige Ankündigungen Grenzkontrollen einführen, wenn sofortige Maßnahmen ergriffen werden müssen (z.B. Corona-Virus, Migrationsbewegung), um die interne Sicherheit und öffentliche Ordnung zu gewährleisten. Auch hier müssen Mitgliedsländer und Kommission unverzüglich benachrichtigt werden.
- Ereignisse, bei denen außergewöhnliche Umstände das gesamte Funktionieren des Schengen-Raums gefährden (Art. 29 codified SBC)
Sollte die Funktionalität des Schengen-Raums insgesamt gefährdet sein und eine Bedrohung für die innere Sicherheit sowie die öffentliche Ordnung bestehen, so kann der Rat auf der Grundlage eines Vorschlags der Kommission empfehlen, dass ein oder mehrere Mitgliedstaaten beschließen, an allen ihren Binnengrenzen oder an bestimmten Teilen davon wieder Grenzkontrollen einzuführen. Dies wird jedoch nur als letztes Mittel zum Schutz ausgesprochen, wenn vorherige Artikel des Schengener Grenzkodex unzureichend sind. Zur Durchführung dieser Maßnahme muss zuerst ein Evaluierungsbericht ausgeführt werden.
Als deutsche Staatsbürgerin mit Wohnsitz in Deutschland war es für mich kein Problem zurückzukehren. Mein großes Glück: ich hatte ein Auto, um nach Hause zu gelangen. An der österreichischen Grenze wurden lediglich die Personalien aufgenommen und die Temperatur jedes Fahrgastes gemessen (dabei war ich zugegebenermaßen sehr aufgeregt, denn ich wollte wieder zurück nach Hause). Zudem musste ich eine Erklärung unterschreiben, dass ich in Österreich nicht halten, sondern nur durchfahren würde.
Für den grenzüberschreitenden Warenverkehr sowie für Berufspendler war und ist es weiterhin erlaubt, die Grenzen zu überqueren. Das gilt auch für Personen, die ein ärztliches Zeugnis vorweisen können, welches nicht älter als 4 Tage ist.
Wann die Grenzen innerhalb Europas wieder geöffnet werden ist noch unklar. Österreich möchte die Grenzen zu Italien vorerst geschlossen halten, da die Anzahl der Corona-Infizierten in diesem Land noch zu hoch ist.
Mein Fazit: eine kurze, jedoch prägende Zeit im Ausland, die mir verdeutlicht hat, wie viele Vorteile das Schengen-Abkommen mit sich bringt und wie selbstverständlich es für meine Generation geworden ist, Grenzen jederzeit und ohne Kontrollen zu überschreiten.
Autorin: Clara Lehnert
*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2/Covid19 Krisen entstanden