Glaube: Ursache oder Lösung der Pandemie?
Der Glaube an Gott nimmt in der indonesischen Kultur einen hohen Stellenwert ein. Die Vielfalt und Rituale der sechs, in Indonesien anerkannten Religionen bestimmen den Alltag; In den vielen muslimischen Teilen des Inselreiches durch den Gebetsruf, der fünfmal am Tag den Verkehrslärm der Städte durchbricht, in hinduistischen Regionen sind es die aus Blüten hergerichteten Opfergaben, welche auf den Gehwegen platziert den ein oder anderen Touristen zum Ausweichen bringen, um nicht durch Drauftreten den Ärger der Anwohner auf sich zu ziehen.
Die Lehren und Zeremonien der Religionen prägen Indonesien und könnten unterschiedlicher kaum sein. In einem Teil stimmen sie zur aktuellen Zeit der Krise allerdings überein: Es sind die Gebete, oder vielmehr die Ängste und Hürden, welche durch den Virus ausgelöst, das Land überschwemmen.
Ich werde im folgenden Artikel darauf eingehen, wie die verschiedenen Religionsgemeinschaften mit dem Virus umgehen und welche Schwierigkeiten durch fundamentalistische Gläubige, für den Staat entstehen. Ich beziehe mich vordergründig auf die drei größten Religionsgemeinschaften Indonesiens, da insbesondere diese meine Erfahrungen prägten und medial stärker behandelt werden.
Eine Pandemie Gottes?
Die Wahrnehmung dem Virus gegenüber, hat sich im Verlauf der Ausbreitung stetig verändert. Besonders vor Meldung der ersten offiziellen Infektionsfälle, wurde die Ausbreitung des Virus als ein Zeichen Gottes gedeutet – eine Reaktion auf die zahlreichen Ungläubigen. Insbesondere, da der Ursprung des Virus in dem kommunistischen China zu liegen schien und diese Staatsform seit Beginn eines politischen Genozides in den 60er Jahren stets ein rotes Tuch für viele Indonesier darstellt. Das lange Ausbleibendes Krankheitsausbruches in Indonesien wurde als Antwort auf die zahlreichen Gebete und das gottesfürchtige Leben der Indonesier gedeutet. Da der Inselstaat das Land mit der größten muslimischen Bevölkerung darstellt, ist es nicht verwunderlich, dass diese Theorien insbesondere von Glaubensanhängern des Islams geteilt wurden. Dennoch wurde diese Aussage auch immer wieder von Gläubigen anderer Religionen getroffen.
Bali, Touristenhochburg und hinduistisches Zentrum des Landes scheint von dem Virus lange verschont geblieben zu sein. Noch heute meldet die Insel nur vereinzelte Infektionsfälle. Dieser Zustand verwundert Wissenschaftler aufgrund der hohen Frequentierung zahlreicher Touristen auf engstem Raum. Virologen äußern die Vermutungen, das tropische Wetter könnte ein Indiz sein, oder gar die ansteigende Zahl an Erkrankten des Denguefiebers, welche aufgrund der geringen Testkapazitäten wohl unentdeckte Corona-Patienten sein könnten. Streng gläubige Hinduisten hingegen verbreiten die Theorie, traditionelle Zeremonien seien die Erklärung der geringen Infektionszahlen.
Während meines Aufenthaltes in Jakarta besuchte ich regelmäßig die Sonntagsmessen. Auch hier war die Ausbreitung des Virus schon früh Teil des Gottesdienstes. „Die Pandemie sei keine Strafe Gottes, sie eröffne Wege für das Gute im Menschen“ hieß es noch einige Wochen vor Ausbruch des Virus in der Hauptstadt.
„Wir haben mehr Angst vor Gott als vor dem Virus“
Der feste Glaube gibt den Menschen in Indonesien Kraft und Furchtlosigkeit in Zeiten dieser Krise. Das führte einerseits zu einer angenehmen Gelassenheit während der Vorbereitungen auf einen möglichen Lockdown, die Hamsterkäufe und Massenpanik vermied. Andererseits lösten sich aufgrund der Entspanntheit, Fundamentalisten (aus verschiedenen Religionen), welche die einschränkenden Maßnahmen der Regierung scharf kritisierten, oder gar als Gotteslästerung auffassten. In Provinzen, welche für eine strenge Auslebung des Islams stehen, wie Banda Aceh, in der bis heute die Sharia-Gesetzgebung gilt, führt dies zu einer konsequenten Missachtung der sozialen Einschränkung. Insbesondere im religiösen Umfeld wie den Moscheen werden Massenveranstaltungen weiterhin ausgeführt.
In Regionen, welche im Zuge strenger Auflagen zur Eindämmung der Virusausbreitung die Freitagsgebete in den Moscheen vorübergehend untersagten, kam es teilweise zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und Demonstrationen. In der Stadt Bandung, welche diese strengen Einschränkungen bereits sehr früh einführte, bildeten sich fundamentalistische Gruppierungen, die das zeitweise Verbot als Einschnitt ihrer Religionsfreiheit sahen. „Wir haben mehr Angst vor Allah als vor Covid“ prangte auf den Plakaten der Extremisten, welche in Massen ohne Einhaltung der Sicherheitsabstände, für die Öffnung der Moscheen demonstrierten.
Corona-Bekämpfung mit Gottes Hilfe?
Im Laufe der Bekämpfung des Virus kristallisiert sich die Skepsis der Bevölkerung gegenüber der Regierung heraus. Während der Staat die Entscheidungen zur Behandlung und Vorbeugung der Virusausbreitung auf die Schultern der Provinzen ablud, standen diese einem wachsenden Problem gegenüber: Die Waage zwischen Sozialen Einschränkungen und der Einhaltung religiöser Gebote, zu finden. Diese Strukturlosigkeit führte dazu, dass Polizei und Regierungen Entscheidungen trafen, welche im Nachhinein die Ausbreitung des Virus förderten, so wurde im März eine muslimische Massenveranstaltung, zu der 25.000 Teilnehmer erwartet wurden erst im letzten Moment abgesagt. Dennoch wurde die Veranstaltung trotz fehlender Genehmigung mit 8000 Teilnehmer ohne weiteres Eingreifen des Staates ausgeführt.
Ein ähnliches Scenario spielte sich bei einer Bischofsvereidigung in Nusa Tenggara, bei welcher tausende Teilnehmende die Aufforderung um Einschränkungen des Sozialkontaktes, der lokalen Regierung ignorierten und ohne weitere Vorsichtsmaßnahmen an der Veranstaltung teilnahmen.
Ereignisse wie diese zeigen, dass eine konsequente Durchführung der staatlichen Verordnungen nur in Zusammenarbeit mit Geistlichen der jeweiligen Religion durchzuführen ist. Zu tief sind die Wunden des Vertrauensbruchs der Bevölkerung, entstanden durch Korruption und Vetternwirtschaft. Den Mitgliedern der eigenen Religion und insbesondere den Glaubensvertretern wird oft mehr Vertrauen geschenkt, als der bürgerfernen Regierung. Der Staat setzt nun ausgewählte Religionsvertreter ein, um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen. Sie dienen als Vermittler und lassen die Forderungen der Regierung in ihre Gottesdienste und Zeremonien mit einfließen, beinahe als kämen die Forderungen um die Verminderung sozialer Kontakte vom Göttlichen selbst.
Fazit
Die durch das Virus ausgelöste Krise machte noch einmal sichtbar welch große Rolle der Glaube und die Religion in Indonesien einnimmt. Gläubige stehen zwischen den Fronten der Einhaltung der religiösen Gebote und der Eindämmung des Virus durch Soziale Einschränkungen. Die Aufgabe der Regierung besteht nun darin Strukturen und eine gute Zusammenarbeit zu schaffen, nicht nur um die Bevölkerung vor der Krankheit zu schützen, sondern auch vor der Ausbreitung fundamentalistischen Gedankengutes, welches einen Nährboden in den Folgen der Corona-Krise findet.
Derzeit scheint es, dass die Regierung an genau dieser Aufgabe scheitert. Die Infektionszahlen, als auch die Sterberate an dem Corona-Virus steigt täglich und ein Wandel ist derzeit nicht in Sicht. Inwiefern es religiösen Fundamentalisten möglich sein wird die Krise für sich zu nutzen ist bis zum jetzigen Zeitpunkt noch ungewiss.
Autorin: Zoe Zöttl
*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Stars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.