Corona degradiert Biden zum Wahlkampf-Zuschauer

Krisenmanagement in der globalen Sars-Cov2 / Covid19 Krise
Autor: Pascal Edenhart, 04. Mai 2020

Die Coronakrise schlägt nach wie vor hohe Wellen: Nicht nur wirkt sich das Virus in Form von restriktiven Maßnahmen auf den Alltag des Normalbürgers aus, auch in der politischen Landschaft hinterlässt die Lungenkrankheit Covid-19 seine einzigartigen Spuren. In vielerlei Hinsicht scheint sich ein Schlachtfeld für Profilierungswettbewerbe aufgetan zu haben. Für mich als Student Internationaler Beziehungen mit großer Affinität zum nordamerikanischen Raum, sei es aufgrund persönlicher Bekanntschaften oder des bloßen Interesses politscher und gesellschaftlicher Vorgänge, lohnt sich der Blick über den großen Teich besonders. Denn was im Land der unbegrenzten Möglichkeiten momentan zu beobachten ist, wird Politikerwissenschaftler, Medienwissenschaftler und in letzter Konsequenz auch Historiker noch lange beschäftigen.

Donald Trumps Verhältnis zu den Medien ist ganz grundsätzlich eines, das sich wohl am ehesten als Hassliebe bezeichnen lässt. Egal wie feindlich man sich auch gesinnt sein mag, man braucht sich gegenseitig. Trump liebt sein Dasein als Medienphänomen und die ständigen Tabubrüche liefern Verkaufszahlen und Einschaltquoten. Auch im Zuge der Coronakrise scheint sich Trumps Umgang mit den Medien nicht grundlegend geändert zu haben. Wüste Beschimpfungen und objektiv fragwürdige, mitunter auch schlichtweg falsche Aussagen sind weiterhin an der Tagesordnung. Also derselbe Wahnsinn wie immer?

US-Wahlkampf steht vor der Tür

Was die aktuelle Situation wesentlich vom nicht allzu grauen Trump-Alltag unterscheidet, ist die potenzielle Sprengkraft der höchst explosiven politischen Implikationen. Für den „Commander-in-Chief“ geht es nicht nur darum, die Vereinigten Staaten erhobenen Hauptes aus der Pandemie zu führen und dabei medizinische und ökonomische Schäden auf ein Minimum zu reduzieren. Mindestens genauso wichtig dürfte ihm der Wahlkampf sein, der so langsam Fahrt aufnimmt. Im besten Fall verhielten sich die beiden Elemente synergetisch. In der Realität versucht der amerikanische Präsident jedoch, einen anspruchsvollen Spagat auf einem leicht entzündlichen Pulverfass zu bewältigen.

Zum Epizentrum des Kampfes um die Deutungshoheit in der Krise entwickelte sich zuletzt das Weiße Haus selbst. Pressekonferenzen, von denen sich die Öffentlichkeit allen voran wertvolle Information zur Sachlage sowie zum weiteren Vorgehen im Land erhoffte, wurden immer mehr zur Farce. Unter dem Deckmantel von Corona-Briefings führt Trump nun also Wahlkampf und lebt im Zuge dessen seine persönliche Fehde mit gewissen Pressevertretern aus. Als Reaktion darauf entflammte eine lebhafte Debatte darüber, ob TV-Sender dem nicht einen Riegel vorschieben sollten. Trump-kritische Sender haben zum aktuellen Zeitpunkt bereits Konsequenzen gezogen und beschlossen, die Pressenkonferenzen nicht mehr in voller Länge zu übertragen.

https://www.axios.com/trump-coronavirus-response-criticism-adcb77db-a7ff-44b9-a0e0-52f5c4885e23.html

Der Konflikt der sich dabei auftut ist offensichtlich. Die Wahrung der journalistischen Neutralität wird hier unbestritten zum echten Balanceakt. Der Öffentlichkeit Pressekonferenzen des amtierenden Präsidenten zu einem solch wichtigen Thema vorzuenthalten, ist definitiv ein Akt der Parteinahme. Entgegensetzen mag man diesem Argument, dass dasselbe zu behaupten wäre, würde man dies unkommentiert stehenlassen. Beide Argumentationen überzeugen auf ihre Weise.

Fest steht in dieser Hinsicht allerdings eines. Trumps wenig aussagekräftige Statements gepaart mit einem Überbietungswettbewerb unter den kritischen Journalisten, wer es schafft, die schärfste aller Fragen zu stellen, bringen nur einen klaren Verlierer hervor: Das amerikanische Volk. Der Erkenntnisgewinn ist nämlich regelmäßig gleich Null.

Trump greift Journalistin an

Einen fast schon realsatirisch anmutenden Höhepunkt fand das Geschehen im Weißen Haus bei der Pressekonferenz am 13.04.2020. Offenbar als Antwort auf die heftige Kritik, die er in den letzten Wochen hinnehmen musste, sorgte Trump für Kinoatmosphäre und spielte ein extra für die Journalisten angefertigtes Video ab, das genauso gut als Wahlwerbespot durchgehen hätte können. Die Aneinanderreihung von Clips, die suggerierten, Trump sei seiner Zeit vorausgewesen und hätte früher als alle anderen die notwendigen Maßnahmen getroffen, stießen nicht nur auf Verwunderung, sondern wurden auch mit einer Reihe kritischer Nachfragen quittiert. Eine Diskussion mit einer Journalistin beendete er schließlich in unnachahmlicher Trump-Manier: „You’re so disgraceful!“

In der stark politisierten Medienlandschaft in den USA gibt es naturgemäß auch eine zweite Seite der Medaille. Noch interessanter als die Herangehensweise einschlägiger rechtsextremer Medien ist in dieser Hinsicht die Position des wohl einflussreichsten konservativen Mediums „Fox News“. Wenngleich Trump zunehmend Kritik an dem Sender übt, dürfte die Synchronität der Aussagen kein Zufall sein. Kurz nachdem ein britischer Politikexperte Ende März auf ebendiesem Sender dazu aufrief, die Wirtschaft wieder zu öffnen und dabei den Satz „The cure is worse than the disease“ verwendete, war der fast exakte Wortlaut in der nächsten Pressekonferenz auch aus Trumps Mund zu hören – und zwar öfter als nur ein Mal. Ebenso auffällig ist die Geschichte über das Malaria-Medikament Hydroxychloroquin. Auch wenn es zum aktuellen Zeitpunkt keine ausreichende Evidenz für die Wirksamkeit bei Covid-19 gibt, ermutigte Trump Erkrankte zuletzt immer wieder, es auszuprobieren – ausgerechnet kurz nachdem Fox News genau das nahelegt hatte. Was hätte man schon groß zu verlieren, so Trump. Aufgrund irreführender Informationen dieser Art steht dem Sender momentan eine echte Klagewelle ins Haus.

Doch die Einflussnahme des TV-Netzwerks soll noch weiter gehen. So heißt es in übereinstimmenden Medienberichten sogar, dass es in erster Linie der berühmt-berüchtigte Fox-Kommentator Tucker Carlson gewesen sein soll, der Trump in einem Privatgespräch Anfang März vom Ernst der Lage überzeugt hat. Für Carlson hat sich seitdem nichts geändert. Er instrumentalisiert die Krise weiterhin, um seine ultrarechte Agenda zu propagieren.

Grabenkämpfe verschärfen sich

Die undurchsichtige Mischung aus legitimer Kritik – etwa an der WHO, China oder den Coronamaßnahmen selbst – und astreinen Falschinformationen stellt sich immer mehr als unüberwindbares Hindernis zu einer ernsthaften Debatte dar. Auf der einen Seite wird jede abweichende Meinung als Verschwörungstheorie diffamiert, auf der anderen Seite werden sämtliche Maßnahmen als anti-amerikanisch abgestempelt. So sorgen die neugeschaffenen Filterblasen für eine weitere Polarisierung. Und die „Öffnungsdiskussionsorgien“, wie man es hierzulande neuerdings nennt, nehmen in den Vereinigten Staaten Ausmaße an, die in jedem Fall über das in Deutschland Sagbare hinausgehen.

Und was macht eigentlich Joe Biden? Der designierte Kandidat der Demokratischen Partei für die Wahl im kommenden November hat sich erst vor kurzem seine Nominierung gesichert, doch die Zeit zum Angriff ist noch nicht gekommen. Momentan ist er allenfalls gezwungen, sich gegen Vorwürfe sexueller Belästigung zu wehren. Ansonsten ist er zum Zusehen verdammt. Jedes Wort gegen das Krisenmanagement Trumps könnte ihm Stimmen kosten. Es könnte als parteipolitisches Manöver ausgelegt werden. Man könnte ihm vorwerfen, er sei mehr an seinem Wahlerfolg als an dem Wohl der USA interessiert. Als er vor einigen Wochen auf die Untauglichkeit Trumps als Krisenmanager hinwies und dies unter anderem mit seiner Historie an fremdenfeindlichen Aussagen in Verbindung brachte, drehte ihm Donald Trump höchstpersönlich das Wort im Mund um. Er behauptete, Biden habe den damaligen Einreisestopp von China als xenophob bezeichnet. Dafür habe sich Biden jedoch inzwischen bei ihm persönlich per Brief entschuldigt. Beides entspricht nicht der Wahrheit.

https://www.realclearpolitics.com/epolls/other/president_trump_job_approval-6179.html

Dementsprechend hält Biden seitdem im Homeoffice die Füße still. Ein mäßig angenommener Podcast ist schon das höchste der Gefühle. Laut Umfragen kann er sich das auch erlauben. Diese führt er nämlich nicht nur im landesweiten Vergleich an, auch in den Schlüsselstaaten, den Swing-States, hat er momentan die Nase vorne. Doch trotzdem ist Vorsicht geboten. Trumps Zustimmungsrate erreichte zuletzt einen absoluten Spitzenwert in dieser Legislaturperiode (siehe Grafik). Ob der Wahlkampf auf herkömmliche Weise noch ins Rollen kommt, ist aktuell ungewiss. Die amerikanische Medienproblematik offenbart sich in diesen Tagen jedenfalls deutlicher denn je. Das führt dazu, dass der Amtsinhaber scheinbar erst einmal alle Fäden in der Hand hält. So muss Biden wohl hoffen, dass sich Trump selbst schlägt.

*Dieser Beitrag ist im Rahmen des Kurses Krisenmanagement in der globalen Stars-Cov2 / Covid19 Krise entstanden.

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