Eine der meistgestellten Fragen in den ersten Tagen in La Paz war bisher: Warum Bolivien? Warum verlässt man als Europäer die scheinbar so tolle Heimat? Und warum dann ausgerechnet Bolivien?
Zweifelsohne sind diese Fragen berechtigt, und auf die Frage warum ausgerechnet Bolivien das Ziel meines Auslandssemesters sein soll, kann ich recht schnell Gründe finden. Die besondere andine Landschaft, die mich seit dem ersten Tag in ihren Bann gezogen hat, die geographische und kulturelle Distanz zu Deutschland. Natürlich die Möglichkeit Spanisch zu lernen und auch der Stolz der Bolivianer auf die eigene indigene Kultur machen Bolivien für mich persönlich zu einem grandiosen Reiseziel, das einen tieferen Einblick als den touristischen verdient.
Schon schwieriger wird es die grundsätzliche Frage zu beantworten, warum man überhaupt weg will. Warum weg? Weg von vielem und vielen Vertrauten, weg von den Leichtigkeiten eines Studentenlebens in Deutschland. Weg von Familie, weg von Freunden, weg von fast Allem was ich über Jahre lieben gelernt habe.
Ich denke in diesem Fall ist die Antwort immer eine persönliche, denn den einen gemeinsamen Grund, der das Fernweh erweckt gibt es wohl nicht.
Zum Nachdenken hat mich dabei die Frage eines bolivianischen Kommilitonen gebracht, ob denn die Familien Strukturen in Deutschland so verkommen wären, dass ich davon Abstand nehmen will. Ich persönlich kann sagen, dass ich in einer grandiosen Familie aufwachse, die mich bei meinen Unternehmungen unterstützt und der allein ich es zu verdanken habe, jetzt an einem Blog über Auslandserfahrungen mitzuwirken, während ich in La Paz einen Mate Tee trinke. Ich bin mir inzwischen sicher, dass ich nur durch den besonderen Rückhalt, den mir meine Familie gibt, mental überhaupt erst in der Lage bin den Schritt nach Südamerika zu wagen.
Gleichzeitig ist es vielleicht auch einer der unterbewussten Gründe überhaupt aufzubrechen, um so die Beziehung zu Familie und Freunden noch zu intensivieren. Denn tatsächlich ergibt sich ein kleines Paradoxon, seit ich Deutschland Ende Januar für ein paar Monate „Servus“ gesagt habe. Die größere räumliche Distanz führt in einigen Fällen zu engerem Kontakt mit Leuten, die vorher eher eine Randerscheinung im Regensburger Alltag waren. Plötzlich schreiben mir wieder alte Freunde, mit denen der Kontakt etwas eingerostet war, und Familienangehörige, mit denen der Kontakt bisher fast ausschließlich an großen Familienfesten stattgefunden hatte, jedoch nie tiefgründig persönlich wurde. Das bereichert den Start in Bolivien ungemein und ist ein unerwarteter aber angenehmer Nebeneffekt der Reise auf einen anderen Kontinent.
Der Hauptgrund jedoch, sich überhaupt ins Abenteuer zu stürzen ist die tiefe Überzeugung, dass Lernen nur durch Erfahrung stattfindet. Im wahrsten Sinne des Wortes ist die Erfahrung umso intensiver wenn man wirklich mal dort war. Deswegen spielt es in meinen Augen auch eine untergeordnete Rolle, wo man hinfährt. Denn nur durch persönliche Erfahrung wird die Dimension und Tiefe des Neuen, das wir alle mitbekommen, wirklich spürbar und lernbar. Ich könnte hierbei nicht mehr mit Alexander Humboldt übereinstimmen, der bekanntermaßen feststellte, dass die gefährlichste Weltanschauung die derer sei, die die Welt nie angeschaut haben. Und selbstverständlich ist dann eine Erfahrung im vermeintlich aufregenden Südamerika nicht mehr wert als ein Auslandssemester in Europa.
In diesem Sinne, stürzt euch hinein, liebe Freunde, in eine Erfahrung die durch keine Schulbücher, Manuskripte und auch nicht durch Erzählungen simuliert werden kann. Werdet nicht müde euch selbst auf die Probe zu stellen und genießt eure Zeit in allen Teilen der Welt. Und vor allem: Macht keinen Wettstreit draus, die sensationellsten, schrillsten und sogar gefährlichsten Erfahrungen zu sammeln. Sammelt die Erfahrungen intensiv! Nur so wird das wahre Potential des Lernens ausgeschöpft.
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